Gefilzte Geschichten
- Denise Bertram
- 2. Sept.
- 4 Min. Lesezeit

Früher galten meine tierischen Lieblingsmotive eher den Kühen – stolz, kraftvoll, mitten auf den saftigen Weiden. Doch seit meinen Reisen nach Schottland haben sich die Schafe ganz leise in mein Herz geschlichen. Dort gehören sie so selbstverständlich zur Landschaft wie Moore, Berge und Lochs. Ihr ruhiges Wesen, ihre Zähigkeit im Wind und Regen, ihr fast poetisches Nebeneinander mit der rauen Natur – all das hat in mir eine tiefe Verbundenheit geweckt.
Seitdem sind Schafe für mich mehr als Tiere – sie sind Sinnbilder für Schottland selbst, untrennbar mit dem Land verwoben.
Ein Fell entsteht – mit Muskelkraft und Geduld
Vor einigen Monaten sah ich eine Dokumentation über Schweizerinnen und Schweizer, die nach Neuseeland ausgewandert sind. Darunter war auch eine Walliserin, die dort Schafe hält. Zum ersten Mal hörte ich in diesem Zusammenhang von veganen Schaffellen – also Fellen, für die kein Tier sterben muss.
Ich war sofort fasziniert. Die Vorstellung, ein Schaffell zu besitzen, ohne dass ein Leben dafür beendet werden muss, war für mich eine Grundvoraussetzung.
Als ich meiner Freundin davon erzählte, war sie gleich begeistert. Sie wusste sogar eine Adresse – und so führte uns der Weg zu Carmen Neumayer und ihrer Fellfilzerei Jawoll.

Wir meldeten uns für einen Kurs an, bei dem wir ein grosses Fell filzen durften. Ein ganzer Tag Arbeit: von morgens um 8 Uhr bis abends um 19 Uhr. Und ich kann gleich vorwegnehmen: es war ein sooooo toller Tag!!!!! Sehr anstrengend, ja – aber unglaublich erfüllend.
Liebe auf den ersten Blick
Wir durften unsere Felle selber auswählen. Ich hatte mir gar keine Gedanken gemacht, wo mein Fell später seinen Platz finden würde – vielleicht auf dem Sofa? Doch als ich draussen die Langhaarfelle sah, war es sofort um mich geschehen.
Carmen zeigte mir ein Fell, an das sie dabei dachte – und ich war verliebt. Wild, weich, mit allen Schattierungen von Braun und Grau. Ein kleines Kunstwerk der Natur.
Heute liegt dieses Fell in meinem Schlafzimmer – viel zu gross für das Sofa – und fast fühlt es sich an, als hätte ich ein viertes Tier zuhause ;-)).
Meine Freundin hingegen hatte schon im Vorfeld einen klaren Plan für ihr Fell und wusste genau, wohin es sollte. Zwei Herangehensweisen, beide richtig – so wie jedes Fell seinen eigenen Charakter hat und seinen ganz persönlichen Platz findet.
Mit der Wolle zu arbeiten löste in mir ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit aus. Die Weichheit zu spüren, die Wärme und Geborgenheit- und all die kleinen Spuren aus dem Leben des Schafes zu entdecken – kleine Samen, Äste, Strohhalme. Sie waren nicht immer einfach zu entfernen, aber sie erzählten Geschichten: von Wiesen, Wäldern und Wegen, auf denen „mein“ Schaf – in meinem Fall eine Heidschnucke – im Laufe des Jahres unterwegs war.
Erst dabei wurde mir bewusst, wie viele einzelne Arbeitsschritte in so einem gefilzten Fell stecken: die sorgfältige Vorbereitung der Rohwolle, das Auslegen, das Benetzen und Seifen, das wiederholte Pressen, Walken, Wenden, Reiben und Rollen. Jeder dieser Schritte erfordert Geduld, Aufmerksamkeit – und auch einiges an Muskelkraft. Am Ende wächst Stück für Stück ein Fell zusammen, das robust, weich und langlebig ist.
Carmens Leidenschaft und ihr Wissen
Besonders beeindruckt hat mich, wie viel Leidenschaft Carmen in ihre Arbeit steckt. Als gelernte Grafikerin hängte sie ihren alten Beruf an den Nagel, absolvierte eine fast vierjährige Ausbildung und baute ihre eigene Filzwerkstatt auf.
Während des Kurses hat sie uns mit so viel Herzblut durch die einzelnen Arbeitsschritte geführt, uns geduldig gezeigt, worauf es ankommt und uns nicht nur das Handwerk nähergebracht, sondern auch ihre ganze Liebe zum Material spürbar gemacht.
An den Schur-Tagen ist Carmen meist selbst dabei. Sie erzählt, dass es ihr wichtig ist, die frisch geschorene Wolle gleich in Empfang zu nehmen und sorgfältig einzupacken. Sobald sie auf den Boden fällt, nimmt sie sie achtsam auf, legt sie in ein Tuch – und bringt sie so geschützt in ihre Werkstatt. Dort entstehen dann die schönsten Kunstwerke.
Es ist beeindruckend zu sehen, mit welcher Hingabe sie arbeitet. Ihre Verbundenheit mit der Wolle und dem Filzen ist tief, so dass man sich kaum vorstellen kann, dass sie jemals etwas anderes gemacht hat.
Fortsetzung folgt…
Für uns war schnell klar: wir kommen wieder! Der nächste Kurs ist schon gebucht. Dieses Mal wird es allerdings ein kleineres Fell – aus der traumhaft schönen Wolle der Gotland-Schafe. Ihre Locken, in allen warmen Erdtönen, haben es mir angetan. Und ja – dieses Mal werde ich mir vorher überlegen, wo das Fell dann seinen Platz finden soll....
Fazit: Dieser Tag hat mir gezeigt, wie viel Schönheit, Wärme und Handarbeit in einem veganen Schaffell steckt. Es ist nicht nur ein Gebrauchsgegenstand, sondern ein Stück Natur – voller Leben, Geschichte und Seele und wenn auch du so ein wunderbares Fell machen möchtest, dann gibt es keinen besseren Ort als bei Carmen in der Filzwerkstatt Jawoll.
Und bald geht es für mich wieder nach Schottland – zurück zu den Hügeln, den Mooren und den unzähligen Schafen. Dieses Mal werde ich sie nochmals mit anderen Augen sehen. Und vielleicht begegnen mir dort auch die röhrenden Hirsche in den Highlands – majestätisch, kraftvoll, ein weiterer Teil dieser Landschaft, die mir so tief ans Herz gewachsen ist.
Bis bald und liebe Grüsse
Denise
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